Wünsche und Erwartungen der Nutzenden: Welche Nutzungspraktiken und Vorerfahrungen haben die Teilnehmenden des Integra-Programms?
Zuerst wollen wir an dieser Stelle die Perspektive der Nutzenden betrachten. Wir gehen dabei unter anderem auf die Nutzungspraktiken,
Vorerfahrungen, Probleme und Wünsche der von uns befragten Personen ein. Bei diesen handelt es sich um Studieninteressierte mit
Fluchthintergrund, die größtenteils aus der Türkei stammen.
Nutzungspraktiken
Die Erzählpersonen nutzen das Internet regelmäßig, sowohl um sich zu informieren als auch zu Unterhaltungszwecken.
Die meisten interviewten Personen haben sowohl Erfahrung mit Webseiten öffentlicher Einrichtungen aus ihren Geburtsländern
als auch aus Deutschland. Die Befragten gaben an etwa die Seiten der Lernplattform Moodle, der Ruhr-Universität Bochum und
von Kommunen wie Bochum oder Recklinghausen zu nutzen.
Abbildung 20- Die E-Learning-Plattform der Ruhr-Universität 'Moodle'
Kompetenzen
Die von uns befragten Personen verfügen insgesamt über gute Internetkenntnisse. In den Walkthroughs zeigten sie größtenteils
ein gutes Handling mit deutschen Webseiten.
Die Sprachkenntnisse der Befragten unterscheiden sich dagegen stärker.
Die Erstsprache des Großteils der interviewten Personen ist Türkisch. Das Deutschniveau variiert bei den Befragten
zwischen den Niveaus A2 (Grundlagen) und C1 (Fortgeschrittene Kenntnisse) des Europäischen
Referenzrahmens. Sprechen
fällt den Teilnehmenden dabei tendenziell schwieriger als Schreiben. Zwei Interviews haben wir auf Englisch geführt,
da die Englischkenntnisse dieser Interviewpartner besser waren als deren Deutschkenntnisse.
Probleme mit deutschen Webseiten bestehen in vielerlei Hinsicht:
Kontaktaufnahme
Die Befragten kritisieren fehlende oder schwer zu findende Ansprechpersonen
bei den Behörden. Auch sei oft nicht ersichtlich, wer für was zuständig ist.
Des Weiteren müsse man lange auf eine Antwort der Behörden warten.
schlechte Usability
Die Erzählpersonen finden die Struktur vieler deutscher Webseiten zu kompliziert.
Sie seien zu unübersichtlich und überladen mit Informationen. Teilweise sei zudem die Suchfunktion
nicht vorhanden oder schlecht.
Informationssuche
Die Suche nach bestimmten Informationen oder Formularen gestaltet sich für die Befragten
schwierig. Sie ist oft sehr zeitintensiv. Zudem herrscht teilweise Unklarheit über die eigene
und zielführende Suchstrategie.
Sprachliches Verständnis
Aufgrund fehlender Deutschkenntnisse haben die Befragten Schwierigkeiten manche Informationen,
insbesondere Fachbegriffe wie z.B. Meldeangelegenheit, zu verstehen. Zudem fällt ihnen die Kontaktaufnahme
per Telefon schwieriger als per E-Mail.
Übersetzungsfunktion
Da die Befragten Deutsch nicht als Erstsprache haben, greifen sie häufig auf
Übersetzungsmöglichkeiten zurück. Die auf deutschen Webseiten integrierten Übersetzungsfunktionen
seien häufig jedoch eher schlecht oder nicht funktional. Zudem sind die Erstsprachen der Befragten
selten im Sprachangebot der Webseiten vorhanden.
Die Probleme variieren je nach besuchter Webseite. Mit den Webseiten aus ihren Heimatländern hatten die
Befragten im Gegensatz zu den deutschen Webseiten kaum Schwierigkeiten. In den Walkthroughs wurde deutlich,
dass es mit der Seite des IO größere Probleme gab als mit der Seite der Stadt Bochum. Der Integra-Beirat konnte
nur mit Hilfe der Interviewer:innen und unter Nutzung der internen Suchfunktion auf der Seite des IO oder
Google gefunden werden. Bei der Seite der Stadt Bochum konnten dagegen alle Befragten die von uns gestellten
Aufgabe ohne große Hilfe lösen. Nur vereinzelt gab es Verständnisprobleme bezogen auf Fachbegriffe. Auch wir
Interviewer:innen hatten im Vorfeld mit der Webseite der Stadt Bochum weniger Probleme als mit der Seite des IO.
Die Schwierigkeiten mit der Seite des IO scheinen sich somit im Gegensatz zur Seite der RUB nicht nur aus
fehlenden Deutschkenntnissen, sondern vor allem aus einer schlechten Webseitenstruktur und Menüführung zu ergeben.
Die Befragten bedienen sich verschiedener Strategien, um die genannten Probleme zu lösen:
Personen um Hilfe bitten
Eine Strategie der Befragten war es, andere Personen um Hilfe zu bitten. Dazu
gehören Dolmetschende sowie Bekannte und Freund:innen, mit Deutsch als Erstsprache. Zudem wurden
die Behörden per E-Mail kontaktiert und nach Informationen gefragt, die auf den Webseiten nicht zu
finden oder unverständlich waren.
Andere Informationskanäle nutzen
Manche Befragten gaben an, dass sie sich abseits von den Webseiten öffentlicher
Einrichtungen auch in Foren oder Messenger-Diensten wie Telegram über bürokratische Angelegenheiten
informieren.
Übersetzen
Bei Verständnisproblemen aufgrund von Sprachschwierigkeiten greifen die Befragten
auf Browsererweiterungen und Übersetzungstools wie etwa den Google Translator zurück, um sich die
deutschsprachigen Webseiten in ihre Erstsprache oder zumindest einer besser beherrschten Sprache
wie Englisch übersetzen zu lassen. Eine Person gab an, einzelne unbekannte Wörter, insbesondere
Fachbegriffe, in Online-Wörterbüchern wie Pons oder LEO nachzuschlagen.
Learning by Doing
Die letzte Strategie ist, die Webseiten regelmäßig aufzusuchen, um sich mit deren
Aufbau vertraut zu machen. So soll erreicht werden, dass man sich später besser und schneller auf den
Webseiten zurecht finden kann
Aus den genannten Problemen ergeben sich bestimmte Verbesserungsvorschläge für Webseiten, um diese für die Befragten verständlicher zu gestalten:
Kontaktmöglichkeiten
Insbesondere die Kontaktaufnahme mit Behörden stellte sich als großes Problem für die Befragten heraus.
Kontaktmöglichkeiten sollten auf Webseiten präsent platziert sein, damit sie leicht zu finden sind. Zudem sollte die
Kontaktaufnahme per E-Mail angeboten werden, da eine schriftliche Kommunikation für Personen, die Schwierigkeiten mit
der deutschen Sprache haben, besser geeignet ist als eine mündliche per Telefon.
Design
Bezogen auf das Design der Webseiten sollte eine einheitliche Farbgestaltung gewählt werden.
Zudem sollten wichtige Informationen und nicht-deutsche Sprachelemente zum Beispiel farblich hervorgehoben werden.
Aufbau
Die Befragten kritisieren insbesondere solche Webseiten, die mit Informationen überladen sind. Daher sollten
Webseiten entschlackt werden und verstärkt auf Keywords zurückgreifen. Zudem sollte der Seitenaufbau verständlich und intuitiv sein.
Sprache
Für Personen mit Sprachschwierigkeiten ist eine einfache Sprache wichtig. Komplizierte Fachbegriffe
sollten vermieden oder zumindest in einfachen Worten erklärt werden. Zudem hilft es, wenn Begriffe einheitlich verwendet
werden und auf Synonyme verzichtet wird, da es sonst zu Verwirrungen kommen kann. Wünschenswert ist ein mehrsprachiges
Angebot, das die Sprachkenntnisse der Zielgruppe abdeckt.
Hilfsmittel
Eine gute Suchfunktion erleichtert das Finden von Informationen. Zudem helfen Erklärvideos dabei, komplexe Vorgänge anschaulich zu beschreiben.
Nachdem wir die Perspektive der Nutzenden dargelegt haben, wollen wir im nächsten Abschnitt auf die Sichtweise der Behörden eingehen.
Dafür betrachten wir die Arbeitsweise, Organisationsstruktur und den Prozess der Webseitenerstellung von drei öffentlichen Einrichtungen
beziehungsweise Abteilungen: dem International Office der Ruhr-Universität Bochum, dem Studierendenservice der Ruhr-Universität Bochum
sowie der Internetredaktion der Stadt Bochum.
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